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Rede auf der Gedenkkundgebung für die Opfer des Nationalsozialismus (1)

Liebe Genoss:innen,

Heute vor 79 Jahren wurde dem Grauen ein Ende gesetzt. Ein Grauen, was so bestialisch ist, dass unser Vorstellungsvermögen nicht im Ansatz ausreicht, dieses zu erfassen. Am 27.01.1945 befreite die Rote Armee das Konzentrationslager Ausschwitz. Als sie das Lager erreichten, fanden sie ca. 7.500 Häftlinge, abgemagert und dem Tode näher als dem Leben. Allein in der letzten Nacht vor der Befreiung hatten die Nazis 10.000 Gefangene ermordet.

Neben den Überlebenden wurden 384.820 Männeranzüge, 836.525 Frauenkleider, etliche paar Schuhe und 45.293 Säcke mit einem Gewicht von 7 Tonnen an abrasierten Haaren gefunden. Haare von ermordeten, vergasten Menschen, gelagert zur Herstellung von Industriegarn, aus welchem weitere Filzstrümpfe für Wehrmachtssoldaten hergestellt werden sollten. Dieses Detail lässt vielleicht im Ansatz die grausame, barbarische Verwertungslogik der deutschen NS-Ideologie erfassen. Die vollkommene Endstufe der Verwertungslogik menschlichen Lebens, die Endstufe der Kommodifizierung von lebenden, fühlenden Körpern. Menschen, die nicht in das wahnhafte Bild der deutschen Rassenideologie passten, mussten sich wortwörtlich totarbeiten, als sie vor Erschöpfung zusammenbrachen und sie nicht mehr arbeitstauglich waren, wurden sie nach ewiger Schikane erschossen, totgeprügelt, oder vergast. Doch die deutsche Ideologie macht auch nicht vor einem ermordeten, leblosen, geschändeten Körper halt, nein, denn auch hier sieht sie weitere Verwertung und erzeugt aus den Haaren Filzstrümpfe und sammelt Zahngold der Leichen. 

Der industrielle Massenmord an 6 Millionen Jüdinnen und Juden war ein vollkommener Bruch mit der Zivilisation. Das Ziel der Shoa war nicht nur die Auslöschung von jüdischen Leben in Deutschland, das Ziel war die komplette Auslöschung von allem jüdisch assoziiertem weltweit. Synagogen, jüdische Bräuche, Sprache, Traditionen und letztendlich eben jüdische Männer, Frauen, Kinder und Babys. 

Am 20. Januar, vor 82 Jahren trafen sich 15 hochrangige Vertreter der NSDAP in einer Villa am Berliner Wannsee, um akribisch und auf das höchste detailliert die Ausführung eben dieser Vernichtungsphantasie zu planen. Möglichst effizient sollte die Durchführung sein. Später bei seinem öffentlichen Prozess in Tel Aviv erinnert sich Adolf Eichmann, der „Judenreferent“, Leiter des „Eichmannreferat“, zuständig für die Deportation der Jüdinnen und Juden, zurück, dass eine „freudige Zustimmung“ unter den Teilnehmern geherrscht hatte. Nicht nur wurde freudig an der Vernichtung von allem Jüdischen geplant, es wurde auch alles in guter deutscher Manier bürokratisch dokumentiert, abgeheftet und archiviert. 

Dieses akribische Planen und sorgfältige dokumentieren eines so abscheulichen Verbrechens zeigt den widerwärtigen und sadistischen Gefallen der Deutschen am Morden. Ein Gefallen so skrupellos und menschenverachtend wie kein anderer. Doch diese Befriedigung in Deportation, Folter, Mord und Tod war nicht nur Sache der NSDAP Funktionäre, nein, die deutsche Volksgemeinschaft machte freudig mit. Sie wartete nur auf den richtigen Moment um ihre Masken fallen zu lassen und die bestialischen Abgründe ihres deutschen Wesens zu befreien. Die vollkommene Auslöschung des Judentums war ein breiter gesellschaftlicher Konsens. Antisemitische Ressentiments und Weltbilder wurden von den Deutschen gierig eingesogen, gefeiert und wie ein Lauffeuer weiterverbreitet. Theodor W. Adorno beschreibt Antisemitismus als „[…] das Gerücht über die Juden.“ Judenhass und Verschwörungsmythologie sind nicht selten untrennbar. Eine verkürzte, personifizierte und mystifizierte Analyse hochkomplexer, gesellschaftlicher Mechanismen endet meist in einem judenfeindlichen Weltbild. Alles Übel der Welt wird vereinfacht auf jegliches als jüdisch Wahrgenommenes projiziert und dort lustvoll bekämpft. Endet die Lust an Gerüchten und Verschwörungserzählungen in Aufklärungsresistenz, nehmen deren Befürworter wahnhafte Züge an, in denen sie jeden Widerspruch integrieren –, der flüchtige, ungewisse Charakter des Gerüchts wird hier genommen und ihm eine Form gegeben, in der dieses Generationen überleben kann. Demnach endete der Judenhass auch nicht mit der Befreiung von Auschwitz, denn der deutsche Wahn ist eine Tradition- eine Tradition die sich wie ein roter Pfaden bis heute durchzieht und jederzeit in unterschiedlichen Dimensionen wieder entflammen kann, und dies nach wie vor auch tut.

Aktuell erleben wir weltweit einen Anstieg der antisemitischen Gewalt. Am 7, Oktober verrichtete die Hamas in Israel das größte Pogrom seit der Shoa an Jüdinnen und Juden. 1200 Menschen wurden grausam ermordet, Frauen, Kinder und Rentner:innen wurden von Terroristen der Hamas massenvergewaltigt, gefoltert und geschändet, junge Besucher:innen eines Friedensfestivals wurden abgeschlachtet, hunderte Männer, Frauen und Kinder als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt und seit Monaten unter menschenunwürdigen Bedingungen in Tunneln festgehalten, dort gefoltert und  hilflos sexualisierter Gewalt ausgesetzt. Die Reaktionen weltweit sind erschreckend. Von Aussagen wie „Die Hamas ist eine Befreiungsbewegung“ bis hin zur vollkommenen Leugnung des Massakers oder dessen Darstellung als „Zionistische Propaganda“, sowie Diffamierung und Victim Blaiming der vergewaltigten israelischen Frauen. Parolen wie „Free Palestine from german guilt“ erinnern an rechtsextreme Forderungen nach Verbannen eines angeblichen „Schuldkults“ in Bezug auf die Shoah, um sich der deutschen Kollektivschuld zu entledigen und sich endlich das Gewissen rein waschen zu können. Dass antizionistische, antiisraelische Parolen, Symbole und Rhetorik teilweise identische judenfeindliche Darstellungen und Ressentiments bedienen wie die Nationalsozialisten ist auch historisch betrachtet kein Zufall. Die Nazis waren schon vor der Staatsgründung Israels wie versessen darauf, den jüdischen Staat mit allen Mitteln zu verhindern. 

Dabei kollaborierten die Nazis mit Islamisten wie z.B. dem Großmufti von Jerusalem, Mohammed Amin al-Husseini. Sie verteilten antisemitische Flugblätter und Schriften wie die Protokolle der Weisen von Zion. Auch ein Radiosender wurde eingerichtet, um den deutschen Vernichtungsantisemitismus im Nahen Osten zu verbreiten. 

Heutzutage lassen sich in der antisemitischen Ideologie verschiedener Akteure im Nahen Osten Versatzstücke deutscher NS-Ideologie wiederfinden und finden von dort ausgehend wiederum weltweit Anklang, um den eigenen verkürzten Hass auf die Verhältnisse wahnhaft und lustvoll auf den einzig jüdischen Staat zu projizieren. Dabei ist Israel der einzige Ort, an dem Jüdinnen und Juden die Möglichkeit haben, sich kollektiv vor dem globalen Antisemitismus zu schützen.

Gleichzeitig sehen wir uns in Europa und in Deutschland mit einem massiven Rechtsruck der Gesellschaft konfrontiert. Die AfD erfreut sich aktuell an Umfragewerten jenseits der 20% Marke. In dieser Partei verbinden sich die Forderung nach autoritären Krisenlösungen, rassistische Raserei sowie eine aggressive Einnerungsabwehr in Bezug auf die Shoa. Schon lange zielt die AfD unter dem irreführenden Begriff der „Remigration“ auf nichts anderes ab als die gewaltsame Vertreibung von Millionen Menschen, die nicht in ihr Bild einer homogenen deutschen Volksgemeinschaft passen. Rassistische Hetze gegen Geflüchtete verbindet die AfD dabei geschickt mit der antisemitischen Verschwörungserzählung einer gesteuerten Umvolkung. Den Glauben an die Erzählung vom „Großen Austausch“ teilt sie sich mit den rechtsterroristischen Attentätern von Oslo und Utoya, Christchurch, Halle und Hanau.

Die deutschen Zustände im Jahr 2024 zeigen uns deutlich: Der Aufbau einer konsequenten antifaschistischen Bewegung ist dringend notwendig.

„Die Forderung, das Ausschwitz nicht noch einmal sei“ sehen wir als Aufforderung zum Handeln. Ein bloßes erinnern an die Schrecken der Shoa reicht nicht aus. Es benötigt Taten, die die Worte untermauern. Wie es die Häftlinge des KZ-Buchenwald formulierten:
Die Vernichtung des Nazismus mit all seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.“