Heute vor 85 Jahren, in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938, brannten in Deutschland unzählige Synagogen, jüdische Geschäfte sowie Wohnhäuser wurden ausgeraubt und zerstört, Jüdinnen und Juden ermordet, gedemütigt, verhaftet und verschleppt. München als „Hauptstadt der Bewegung“ war Ausgangspunkt dieser systematischen Welle von antisemitischem Hass und Gewalt. Was von der NS-Propaganda als ein spontaner Ausdruck des Volkszorns bejubelt wurde, war tatsächlich ein lang geplanter Pogrom des NS-Apparats. Bereits am 9. Juni 1938 wurde die Münchner Hauptsynagoge als eine der ersten in Deutschland auf direkten Befehl Hitlers abgerissen. Dieses mehr als symbolische Ausradieren jüdischen Lebens aus der Öffentlichkeit wurde von der deutschen Bevölkerung nicht nur akzeptiert, sondern mitgetragen und öffentlich gefeiert.
Angeheizt von der Rede Joseph Goebbels am 9. November 1938 im alten Rathaus zog die Menge los, um ihrer antisemitischen Raserei freien lauf zu lassen. Sie drangen in die „Ohel Jakob“ Synagoge in der Herzog-Rudolf-Straße ein und brannten diese nieder. Auch die jüdischen Altersheime in der Kaulbachstraße 65 und Mathildenstraße 8-9 wurden gestürmt, geplündert und die Bewohner angegriffen. In der Lindwurmstraße wurde Joachim Chaim Both von SA-Männern ermordet, während sie sein Geschäft plünderten.
Die Nacht vom 9. Auf den 10. November markiert den Beginn der öffentlich systematischen Vernichtung jüdischen Lebens in Deutschland. Im gesamten damaligen Deutschen Reichen zogen in dieser Nacht die antisemitischen Schlägertrupps durch die Straßen und setzten den Plan Hitlers und Goebbels in die Tat um. Allein aus München wurden mehr als 1000 jüdische Männer in Konzentrationslager verschleppt, anderen Jüdinnen und Juden gelang die Flucht, sodass sich nach den Novemberpogromen die jüdische Bevölkerung in München fast halbierte. Charlotte Knobloch, die damals als junges Mädchen zusehen musste, wie die Synagoge in der Rudolf-Herzog-Straße abbrannte-sagte später, dass „an diese, Tag (…) das Tor von Auschwitz aufgestoßen“ wurde.
Heute ist es wichtiger denn je an die Pogrome im November 1938 zu gedenken. Auch nach 1945 zieht sich antisemitischer Terror wie eine blutige Spur durch die deutsche Nachkriegsgeschichte. Wir erleben aktuell weltweit einen Anstieg der antisemitischen Gewalt. Am 7. Oktober wurden von Hamas-Terroristen so viele jüdische Menschen an einem Tag ermordet wie seit der Shoa nicht mehr. Dieser Pogrom hat nicht nur direkte Folgen für Israel, sondern für jüdisches Leben auf der gesamten Welt. Während dieser Angriff bei vielen Menschen Entsetzen und Trauer hervorruft, relativieren andere das Massaker oder verkünden öffentlich ihre Solidarität mit der radikal islamistischen Hamas.
Angespornt von den Taten der Hamas, fühlen sich Antisemiten verschiedener Couleur ermutigt ihrem Hass freien Lauf zu lassen. KZ-Gedenkstätten berichten schon länger von einer drastischen Zunahme von Vandalismus, Schmierereien und feindseligen Äußerungen aus verschiedenen Spektren. In Berlin wurde eine Synagoge mit Brandsätzen angegriffen und Häuser in denen Jüdinnen und Juden leben als solche makiert. In Frankreich wurde eine 30 jährige Frau in ihrer Wohnung erstochen, der Täter hinterließ ein Hakenkreuz an ihrer Tür, das es sich hierbei um ein antisemitischen Beweggrund handelt ist schwer bestreitbar.
Meldestrukturen für antisemitische Vorfälle (wie RIAS, Recherche und Informationsstelle für Antisemtismus) seit dem Massaker vom 7. Oktober überlastet und können die Menge an antisemitischen Vorfällen gar nicht bearbeiten, dennoch erhöht sich deren Fallzahlen bei ihnen fast stündlich. Jüdisches Leben auf der ganzen Welt ist heute so sehr bedroht wie seit der Shoa nicht mehr. Jüdinnen und Juden werden dazu gezwungen, jederzeit und an jedem Ort mit antisemitischen Anfeindungen rechnen zu müssen.
Zugleich phantasieren Politiker in der BRD, in rassistisch und geschichtsrevisionistischer Manier, von „importierten“ Antisemitismus, ganz so als gäbe es diesen in einer Gesellschaft voller wieder gut gewordener Deutscher nicht. Kurzerhand werden der antisemitische Anschlag von Halle, die antisemitischen Mobs der verschwörungsideologischen Demonstrationen im Rahmen der Corona-Pandemie und die antisemitischen Flugblätter aus der Jugendzeit aus dem Gedächtnis verdrängt. Denn verdrängen kann der selbst ernannte Aufarbeitungsweltmeister Deutschland schließlich am besten.
Wir gedenken den Opfern der Novemberpogromnacht und den Millionen von Jüdinnen und Juden, die in den folgenden Jahren der faschistischen Mordmaschinerie Deutschlands zum Opfer fielen. Doch ein stilles Gedenken zweimal im Jahr reicht nicht aus. Aus antifaschistischer Perspektive heraus gilt es sich, tagtäglich jeder Form von Antisemitismus entschlossen entgegenzustellen. Es gilt, den in der Gesellschaft fest verankerten Antisemitismus zu bekämpfen und „Denken und Handeln so einzurichten, dass Auschwitz nicht sich wiederhole, nichts Ähnliches geschehe“ (Theodor W. Adorno).
Nie wieder ist jetzt – gegen jeden Antisemitismus!