Rede auf der Gedenkkundgebung für die Opfer des Nationalsozialismus am 27.01.25 (3)
Liebe Genoss*innen, liebe Zuhörer*innen,
bis heute, 80 Jahre danach, lassen sich viele Kontinuitäten aus dem Nationalsozialismus in Deutschland beobachten. Das Erbe des Nationalsozialismus ist nicht nach ’45 verschwunden. Das sehen wir nicht nur an der (nie verschwundenen und) wieder erstarkenden extremen Rechten (/in den Kontinuitäten rechter Gewalt), sondern auch in dem staatlichen Konstrukt der BRD. Statt den NS und seine Unterstützer konsequent zu bestrafen, dauerte es nicht lange bis ein gewisser „Pragmatismus“ jegliche Form der Moral der Deutschen einmal mehr übertrumpfte.
Schnell wurden Parteiangehörigkeit, „antisemitische Ausrutscher“ und Vernichtungswahn vieler verdrängt und gemeinschaftlich verschwiegen. So fanden sich viele Mitglieder der NS-Funktionselite ohne rechtliche Folgen schnell wieder in ranghohen Positionen in Justiz, Polizei, Bürokratie oder Verfassungsschutz.
Bereits 1952 wurde gegen den Shoa überlebende Phillip Auerbach in seiner Funktion als Präsident des bayrischen Landesentschädigungsamts aufgrund klar antisemitischer Anschuldigungen ein Gerichtsprozess eröffnet. Fälschlicherweise wurde ihm von der Staatsanwaltschaft Untreue, Betrug und Meineid zur Last gelegt. Er sah sich dabei nicht nur mit antisemitischen Verleumdungen wie der Behauptung, dass er in seinem Auftreten den Schein erzeugte, ähnliche Funktionen auszuüben, wie sie „etwa ein Gauleiter besessen habe“, sondern saß auch noch einer Reihe ehemaliger NSDAP-Richter gegenüber. Auerbach brachte es reichlich wenig, dass er zwei Jahre später von einem Untersuchungsausschuss des bayerischen Landtages rehabilitiert wurde. Denn er nahm sich noch in der Nacht des Urteils (selbst) das Leben. Der Prozess unterschied sich sowohl ideologisch als auch personell kaum von einem Verfahren zum Höhepunkt des NS.
Nicht nur personell und ideologisch hat sich an einigen Stellen nach 45 wenig verändert; auch einige Gesetzgebungen des Nationalsozialismus blieben bis lange in die BRD hinein existent. So etwa der Paragraf 175, welcher weit über die Diktatur des NS-Regimes bis 1969 Homosexualität zwischen Männern mit Gefängnisstrafen sanktionierte.
Der Paragraf existierte zuvor schon seit 1871, nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde er verschärft. Fortan wurden homosexuelle Handlungen zwischen Männern mit einer Gefängnisstrafe bestraft. („Ein Mann, der mit einem anderen Mann Unzucht treibt oder sich von ihm zur Unzucht missbrauchen läßt, wird mit Gefängnis bestraft. […]“) Während der Diktatur des Nationalsozialismus wurden rund 100.000 Ermittlungsverfahren eingeleitet und 50.000 Männer wurden zu Freiheitsstrafen verurteilt.
Die Praxis, Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung derart zu bestrafen und zu diskriminieren, wandelte in die Einweisung in Konzentrationslager um. Unter dem Vorwand der sogenannten „Schutzhaft“ und „Vorbeugehaft“ wurden schätzungsweise 10.000 bis 15.000 homosexuelle Männer in Konzentrationslager deportiert. 50 bis 60 Prozent der inhaftierten Häftlinge überlebten die Lager nicht. Einer KZ-Haft konnte man nur durch eine „freiwillige“ Kastration umgehen.
Zudem wurden innerhalb der Strukturen des Regimes homosexuelle Handlungen mit der Todesstrafe geahndet. Die Nationalsozialisten begründeten die Verfolgung damit, dass homosexuelle Männer keine vollwertigen Männer wären, keinen Beitrag zum „arischen“ Nachwuchs leisten und somit die Bevölkerung schwächen würden.
Anstatt sich nach 45 mit dem ideologischen Hintergrund dieser homophoben Gesetzgebung auseinanderzusetzen und gegen die gesellschaftlich fest verankerten homophoben und menschenverachtenden Ansichten vorzugehen, bestand der Paragraf 175 auch nach dem Ende des NS-Regimes im exakt gleichen Wortlaut weiter bis 1969. Es wurden zwar nicht die Begründungen des NS übernommen, allerdings galt weiterhin die Annahme, Homosexualität sei etwas Unnatürliches und ein von der Norm abweichendes Verhalten, welches eine Gefahr für die Gesellschaft darstellte und die es zu bestrafen galt. So führte die BRD die Unterdrückung, Diskriminierung und Kriminalisierung von homosexuellen Menschen einfach weiter.
Noch weitere 24 Jahre erschwerten dieser Paragraf 175 das Leben der Betroffenen in der BRD massiv. Dies äußert sich in Maßnahmen wie Razzien, Rosa Listen und Prozesswellen. Außerdem gab es einige, welche die grausamen Konzentrationslager überlebt hatten, und dann in der BRD wieder aufgrund ihrer Sexualität in Haft saßen. Nochmals circa 50.000 Männer wurden in dieser Zeit auf Basis der von den Nazis unverändert übernommenen Rechtsgrundlage verurteilt. Eine ebenso große Menge war von Ermittlungen betroffen.
Die einzigen Maßnahmen, die rückblickend das Versagen der BRD „wiedergutmachen“ sollten, wurden erst ab 2002 umgesetzt. Schwule NS-Opfer wurden rehabilitiert. Und erst seit 2017 können auch alle nach 1945 auf Grundlage von Paragraf 175 Verurteilten rehabilitiert werden. Maßnahmen, die deutlich zu spät waren und bei weitem nichts wiedergutmachen.
An weitere Stelle sieht man Kontinuitäten aus dem NS im Antikommunismus und der daraus resultierenden obsessiven Verfolgung linker Strukturen in der BRD. Bis heute sieht der Staat die größte Gefahr in linken Strukturen, die sich für eine emanzipatorische Gesellschaft einsetzen und ist weiterhin auf dem rechten Auge blind. Dies verwundert nicht, wenn man bedenkt, dass die Repressionsapparate Verfassungsschutz und BKA von ehemaligen NSDAP-Funktionären aufgebaut wurden. Bereits in der frühen BRD bestand deren Aufgabe darin, ein wieder erstarken linker Bewegungen zu verhindern. Dies wurde besonders mit dem Verbot der KPD sichtbar. Einhergingen jahrelange Versuche der Arbeitsverbote und Beobachtung durch den Verfassungsschutz. In ihrer Verfolgung machten die „gut gewordenen“ Nationalsozialisten vor nichts und niemandem Halt. So berichtet heute noch der Shoa Überlebende Ernst Grube davon, wie das gegen ihn verhängte Arbeitsverbot erst aufgehoben wurde, als er der Bürokratie den „Judenstern“ zeigte, den er jahrelang als Zwangskennzeichnung tragen musste. Auch Grube sah sich, als er in den 50er wegen seines Engagements in der kommunistischen Bewegung vor dem Bundesgerichtshof stand, einem ehemaligen NSDAP-Richter gegenüber. Kurt Weber, einst Erster Staatsanwalt unter dem NS-Regime, nun im Dienste der BRD.
Bis heute sehen wir, dass die Justiz und Repressionsapparate der BRD in der Tradition des NS stehen. Wir sehen es darin, dass es immer noch an erster Stelle steht, gegen Linke und ihre Strukturen vorzugehen, die sich Faschisten in den Weg stellen, wie wir an den (aktuellen) unverhältnismäßigen Repressionsverfahren gegen linke Strukturen in den vergangenen Jahren sehen. All das, während Faschisten ungestört weiter Waffen im Keller horten und sich auf den Tag X vorbereiten.
Für uns ist es klar, der Shoa, seinen Opfern und seinen Überlebenden zu gedenken, bedeutet auch sicherzustellen, dass so etwas nicht noch einmal geschehen kann. Dies ist nur möglich, wenn wir konsequent jegliches Erbe des NS aufzeigen und uns dagegenstellen. Deutschland bleibt das Land der Täter und das ändert auch nicht die Umbenennung in BRD.
Für einen konsequenten Antifaschismus!