Rede auf der Gedenkkundgebung für die Opfer des Nationalsozialismus am 27.01.25
Liebe Genoss*innen,
wir sind das Offene Antifa Treffen München. Wir wollen heute den Millionen Menschen gedenken, die von den Nationalsozialisten entrechtet, verfolgt und ermordet wurden. Der Holocaust war ein Verbrechen unvorstellbaren Ausmaßes. Es war der Versuch, jüdische Menschen, Sinti und Roma, Menschen mit Behinderungen, queere Menschen, politische Gegner*innen und Widerstandskämpfer*innen auszulöschen. Es war das Ergebnis von Hetze, Hass und einer Politik, die ausgrenzte und entmenschlichte.
Heute vor 80 Jahren befreite die Rote Armee das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. Als größtes Vernichtungslager steht es beispielhaft für den antisemitischen Vernichtungswahn der Deutschen, deren Ziel die vollständige Auslöschung der Juden war. Allein in Auschwitz wurden ca. 1,5 Millionen Menschen, darunter primär Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma, Polen und Homosexuelle ermordet. Insgesamt fielen in der Shoa sechs Millionen Jüdinnen und Juden der nationalsozialistischen Ideologie zum Opfer. Der von Deutschland losgetretene 2. Weltkrieg, der diese beispiellose Vernichtungsaktion erst ermöglichte, kostete über 50 Millionen Menschen das Leben.
Nach der militärischen Niederlage Deutschlands wurden zwar einige hochrangige Nazis verurteilt, dennoch konnte sich ein allzu großer Teil an NS-Verbrechern ins Ausland absetzen, untertauchen oder bekamen als vermeintliche bloße „Mitläufer“ nur milde Strafen. Sowohl in Politik, als auch in Justiz und Wirtschaft blieben personelle und institutionelle Kontinuitäten bestehen, die es den Tätern partiell ermöglichten, ihre damaligen Opfer erneut zu schikanieren. Auch die NS-Ideologie lebt bis heute fort und zeigt sich am deutlichsten als blutige Spur des rechten Terrors von den Wehrsportgruppen über den NSU bis zu den Anschlägen von Halle und Hanau.
Die Ideologie von damals ist nicht verschwunden, und wenn wir den Holocaust erinnern, müssen wir verstehen, dass die Mechanismen von damals auch heute wirken. Wir müssen begreifen, dass die Strukturen, die zu solchen Verbrechen führen, weiterhin in der Gesellschaft tief verwurzelt sind. Nicht nur sind Antisemitismus, Rassismus, Homophobie und Rechtsextremismus nie aus unserem Alltag verschwunden. Sondern erleben wir in Deutschland, Europa und weltweit aktuell eine regelrechte Renaissance rechter Ideologien.
Wir sehen es in verschwörungsideologischen Bewegungen, die antisemitische Mythen verbreiten. Wir sehen es in Angriffen auf Synagogen, wie in Berlin und Gelsenkirchen, und in der perfiden Leugnung des Holocaust, die immer wieder aufkeimt. Wir sehen es in der alltäglichen Gewalt, die marginalisierte Menschen trifft – sei es auf der Straße, im Internet oder in politischen Entscheidungen. Wir sehen es in den Parolen der sogenannten „Alternative für Deutschland“, die gezielt gegen Minderheiten hetzt und versucht, die Verbrechen der NS-Zeit zu relativieren. So verwundert es nicht, dass die AfD in Thüringen und Sachsen den vom Land finanzierten schulischen Besuch von ehemaligen Konzentrationslagern aus dem Geschichtslehrplan streichen wollen und damit versuchen, aktiv der wenigen Erinnerungskultur in der deutschen Gesellschaft entgegenzuwirken.
Seit dem 7. Oktober 2023 ist jüdisches Leben weltweit einmal mehr stark bedroht. Der 7. Oktober stellt eine Zäsur der Geschichte dar, an diesem Tag verrichtete die Hamas in Israel das größte Pogrom seit der Shoa an Jüdinnen und Juden. 1200 Menschen wurden grausam ermordet, Frauen, Kinder und Rentner:innen wurden von Terroristen der Hamas massenvergewaltigt, gefoltert und geschändet und hunderte Männer, Frauen und Kinder als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Seitdem erleben wir einen beängstigen Anstieg der antisemitischen Gewalt aus allen Richtungen.
Es fing an mit Aussagen auf Demonstrationen, die das Pogrom als legitimen Widerstand bezeichneten oder es gar leugneten oder Parolen wie „Free Palestine from german guilt“, die an rechtsextreme Forderungen nach Verbannen eines angeblichen „Schuldkults“ in Bezug auf die Shoah erinnern. Und es dauerte nicht lange, da wurden die Rufe zur globalen Intifada in die Tat umgesetzt. Angriffe auf Gedenkstätten, Synagogen, Jüdinnen und Juden. Pogromartige Stimmung, von New York bis Amsterdam. Für uns in München traf der Höhepunkt der Gewaltrufe am 5. September vergangenen Jahres ein. Als das NS-Dokumentationszentrum und das israelische Generalkonsulat einem antisemitischen Anschlag zum Opfer fielen. Ein zum 52. Jahrestag des antisemitischen Attentats auf die Olympischen Spiele in München geplanter Gewaltakt, bei dem Schüsse fielen. So erschreckend dieser Tag war, so verwunderte es einen nicht; letztendlich ist dies die logische Konsequenz aus den Gewaltaufrufen gegen alles Jüdische, die wir seit dem 7. Oktober weltweit hören.
Die Ereignisse des 07. Oktober zeigen auch, wie zerbrechlich die Grundlagen einer friedlichen Welt sind. Sie mahnen uns, uns nicht in falsche Neutralität zurückzuziehen. „Nie wieder!“, heißt, Verantwortung zu übernehmen. „Nie wieder!“, heißt, sich solidarisch an die Seite derer zu stellen, die bedroht sind. „Nie wieder!“, heißt: Wir schützen jüdisches Leben.
Wir dulden keinen Antisemitismus, keinen Rassismus, keine Diskriminierung, keine rechtsextreme Ideologie – weder auf der Straße noch in den Parlamenten und treten den Lügen und der Hetze entgegen – überall, wo sie auftreten, ob in Gesprächen, sozialen Netzwerken oder auf Demonstrationen.
München hat als Stadt eine besondere Verantwortung. Hier, in der sogenannten „Stadt der Bewegung“ begann der Aufstieg der Nationalsozialisten, hier wurden die Fundamente des Faschismus gelegt. Wir stehen hier heute am Rand des ehemaligen Parteiviertels der NSDAP, dem Zentrum der deutschen Vernichtungs-Bürokratie; keinen Kilometer von dort, wo das Braune Haus stand, vom zerbombten Ehrentempel für die „Helden“ des Hitlerputsches und dem Führerbau. Umzingelt von den Gebäuden der ehemaligen NSDAP Bürokratie, von Reichspropagandaleitung, SS-Reichsführung, Oberstes Parteigericht und so weiter. In München begann nicht nur die „Bewegung“, hier fand auch die bürokratische Umsetzung der deutschen Mordmaschinerie statt.
Während sich die rein symbolische, übermäßig ritualisierte „Erinnerungskultur“, auf die man in Deutschland so stolz ist, bei genauer Betrachtung als ein Verdrängungs- und Abspaltungsversuch offenbart, hat die klassisch-revisionistische Forderung nach einem Schlussstrich mittlerweile in der AfD eine parteiliche Organisierung gefunden. Unverhohlen agitieren deren Politiker:innen gegen einen angeblichen „Schuldkult“ um die Shoa, welcher ihrem Ziel der Normalisierung völkisch-nationalistischen Denkens und rassistischer Praktiken im Wege steht. Die Forderungen, dass man sich jetzt genug schuldig gefühlt hat, werden lauter. Wir müssen uns diesen Schlussstrich-Rufen entgegenstellen!
Wie das ewige Feuer hier hinter uns, so müssen auch wir nicht nur einen Tag im Jahr erinnern, sondern täglich den Opfern erinnern, aus der Geschichte lernen und dementsprechend handeln. Folglich dürfen wir keine Politik zulassen, die zu dem führt, was sich die AfD und Konsorten wünschen. Am heutigen Tag geht es nicht nur darum, den Toten zu gedenken, sondern auch den Überlebenden und dem neuen Leben, das aus den Trümmern des deutschen Vernichtungswahns erblühte. Dieses Leben gilt es zu schützen.
Wir betonen, dass es nicht ausreicht, mit Worten zu gedenken, es benötigt Taten: Wir müssen uns aktiv gegen Antisemitismus einsetzen, ob auf der Straße, in sozialen Netzwerken oder im Alltag. Wir müssen Räume schaffen, in denen alle Menschen – unabhängig von Herkunft, Religion oder Identität – sicher leben können. Und wir müssen gegen alle Kräfte vorgehen, die versuchen, Hass und Gewalt zu normalisieren.
Wir dürfen uns niemals an das Unrecht gewöhnen, niemals die Augen verschließen. Der Holocaust war kein Unfall, sondern das Ergebnis von Gleichgültigkeit, Mitläufertum und einer vermeintlichen politischen Mitte. Deshalb appellieren wir: Werdet laut. Werdet unbequem. Geht auf die Straße. Kämpfen wir gemeinsam für eine emanzipatorische Gesellschaft, in der alle Menschen frei und sicher leben können – unabhängig von ihrer Herkunft, ihrer Religion, ihrer sexuellen Orientierung oder Identität.
Wir stehen heute hier, um zu gedenken. Doch wir stehen auch hier, um zu handeln.